KAMPFKUNST-SCHULE WIRD GASTRONOMISCH
Wenn aus einem Eisenbahnwaggon ein Chamer Bistro wird
In den kommenden 14 Jahren entsteht auf dem Areal der ehemaligen Papierfabrik in Cham ein neues Wohn- und Arbeitsquartier. Dafür werden einige der Bestandsbauten der «Papieri» erhalten und durch Neubauten ergänzt. Entstehen sollen hier nebst Gewerbeflächen auch Wohnungen für rund 3’000 neue Bewohner (zentralplus berichtete).
Beim nahe gelegenen Gleisbereich entsteht ebenfalls etwas Neues. Etwas, das zwar weniger imposant ist als Wohntürme, dafür ungewöhnlicher. Denn die Chamer Kampfkunst-Schule Shinson Hapkido verwandelt hier einen ausrangierten SBB-Zugwaggon in ein Bistro.
Das rollende Schneideratelier wird zum Bistro
Zur Idee kam’s vor rund fünf Jahren, als die Papieri ein Lagerhaus samt Gleisanlage an die Gemeinde Cham verschenkte. Diese hat daraufhin eine Ausschreibung zur Zwischennutzung gestartet. Einer der Teilnehmer war die Kampfkunst-Schule Shinson Hapkido.
«Unsere Idee war, unsere Schule neu im Lagerhaus unterzubringen und die Gleisanlage mit einem Bistro-Zugwaggon und einer gedeckten Terrasse zu nutzen», sagt Vereinssprecher Marco Müller auf Anfrage. Die Idee fand Anklang bei der Gemeinde Cham, die Schule mit bisherigem Standort an der Zugerstrasse 44 gewann die Ausschreibung (zentralplus berichtete).
Nun musste ein Zugwaggon her. «Unser Präsident Thomas Werder hat tagelang herumtelefoniert und verschiedene Bahn-Gesellschaften angefragt.» Geklappt hat es letztlich im November 2017 bei der SBB. Die hatte in Olten noch das «Rollende Schneideratelier», einen Wagen, der vom SBB-Personal als Uniformen-Schneiderei genutzt wurde, auf dem Abstellgleis stehen. Den konnte die Schule erwerben und in Cham aufstellen.
Das Bistro entsteht dank Freiwilligenarbeit
Seither arbeiten Mitglieder der Chamer Shinson-Hapkido-Schule, Freunde und Bekannte emsig daran, den Bahnwaggon in ein Bistro zu verwandeln. Rund neun Tonnen Material haben sie aus dem Waggon herausgerupft, der einst als «BISTRO gleis08» Gäste empfangen wird. Für den Innenausbau konnten sie auf das Know-how aus den eigenen Reihen zählen. «Zum Glück haben wir unter unseren Mitgliedern Schreiner, Küchenbauer, Elektriker gehabt», sagt Müller. Denn an Herausforderungen habe es nicht gemangelt.
Besonders tricky sei die Lüftung gewesen. Schliesslich will man als Gast nach einem Bistro-Besuch nicht wie eine Hochleistungsküche duften. «Hier war viel Tüftelei nötig, denn vergleichbare Projekte, auf deren Erfahrungen wir hätten zurückgreifen können, gibt es nämlich kaum.» Mit der Hilfe eines Professors der Uni Luzern und besagtem Eigenstudium hat das Team schliesslich eine gangbare Lösung gefunden.
Auch ein Grossteil des Materials für den Innenausbau hat die Kampfkunstschule vergünstigt oder gar gratis bekommen. «Wir haben beispielsweise alte Akustikpaneele der Kanti Zug wiederverwendet», so Marco Müller. Finanziert haben das Bistro-Projekt nebst Gönnerinnen, Spenden und privaten Darlehen vor allem Shinson Hapkido selbst – auch mittels eines Preisgeldes, das der Verein bei einem Projekt-Wettbewerb der Zuger Kantonalbank gewonnen hat. Über genaue Kostenbeträge habe man zwar Stillschweigen vereinbart, sagt Müller, aber gesamthaft habe das Projekt eine «gute sechsstellige Summe» gekostet.
Der Wagon fährt über die Autobahn nach Cham
Ein grosser Kostenfaktor war aber nicht etwa der Ausbau oder der Bahnwaggon selbst – den gabs nämlich zum Alteisen-Preis – sondern die Reise des ehemaligen Schneiderateliers von Olten nach Cham. Denn wären die alten Gleisanlagen in Cham nicht zugunsten der Strasse beim Neudorf entfernt worden, hätte der Zug direkt von Olten vor die neue Haustür tuckern können. «So mussten wir aber einen Schwertransport organisieren.» Eine imposante, aber kostspielige Angelegenheit.
(Noch) farbloser Zugwaggon
Sei’s drum, der Waggon ist da und der aufwändige Innenausbau gemäss Müller fast abgeschlossen. Geplant ist neben einer Industrieküche auch eine «Gastrobox», ein freistehender Anbau an den Waggon. In diesem werden zusätzliche Kühlgeräte und Lagerräume untergebracht.
Was noch fehlt, ist der äussere Anstrich des Wagens. Hier haben nämlich noch einige Parteien, wie etwa die Gemeinde oder die Bauleitung des Areals ein Wörtchen mitzureden. Schliesslich soll sich der Eisenbahnwagen in die restliche Umgebung des neuen Papieri-Areals einfügen. In den nächsten Wochen soll aber ein Entscheid fallen und das Bistro «Gleis08» einen modernen Look erhalten.
Die Speisekarte im Bistro ist noch nicht geschrieben
Was dereinst auf der Speisekarte stehen wird, weiss Marco Müller noch nicht. «Es wird sicherlich Kaffee, Kuchen und Snacks geben. Später vielleicht auch Mittags-Menüs.» Momentan sammle man mit geschlossenen Events wie Geburtstagsfeiern oder Firmenanlässen erste Erfahrungen. «Ziel ist es, rollend zu wachsen und das Angebot laufend zu erweitern.»